Die Schafe
Ein Schaf stand und ein Schaf lag im Gras. Krähen kreisten darüber. Das Schaf, das stand stand da und schaute gerade aus und das Schaf, das lag stand auf und schaute zum Schaf gegenüber und das Schaf gegenüber schaute zurück, und schaute dann ins Gras und fraß.
Das Schaf, das jetzt stand und schaute, sagte: Schaf, warum schaust du mich an und schaust dann wieder weg, ich liebe deine Augen. Und das Schaf, dass jetzt fraß antwortete: Weil ich lieber dieses Gras fresse als in deine Augen zu schauen.
Der Saitenwurm
Ein Saitenwurm befahl seinem Wirt, und er nannte ihn Wirt, weil er nichts anderes kannte als dessen Inneres, zum nächstgelegenen Wasser zu gehen, und der Wirt ging zum nächstgelegenen Wasser, ohne jedoch den wahren Grund nur zu erahnen. Der Wirt trank und der Saitenwurm entschlüpfte ihm, nicht ohne sich vorher zu häuten, denn die alte Haut war dünn und die neue Haut wird härter. Licht durchdrang den gehäuteten Wurm an seinen Sinnesorganen vorne und hinten in der Zellhaut, und der Wurm wurde sich dem Licht, der seiner Sinnesorgane, seinem Vorne und seinem Hinten und seiner Zellhaut bewusst, und begann sich zu schlängeln, und er schlängelte sich eifrig bei seiner Länge. Er schlängelte sich im Wasser bis ein zweiter Saitenwurm seinem Wirt entschlüpfte und sich mit ihm zu knäulen begann, und jetzt war kein Anfang und kein Ende mehr spürbar, nur Milliarden von Zellhautpunkten, die einander berührten. Und der Wirt lebte weiter, oder aber nicht.
Der Dachs
Mit einem Mal vergaß der Dachs, wie er in seinen Bau hineinfand, und so verharrte er davor. Der Morgen graute und der Dachs dachte nach. Er dachte: „Wenn ich nicht bald unter die Erde komme, wird es hell und meine Augen trüb“. Doch der Dachs machte keine Umstände sich zu regen, saß bloß da, sodass ihn schon bald die Sonnenstrahlen trafen. Er dachte: „Da habe ich mein Leben lang gegraben mir unzählige Gänge erschlossen, sie mit Nahrung gefüllt, und dann sitze ich mit einem Mal davor und weiß nichts mehr davon “. Der Dachs spannte die Pfoten an und deutete mit der Schnauze auf etwas Unbestimmtes. Seine Augen leuchteten, als wäre es Nacht. Die Dachsin kam, sah ihn und führte ihn zurück unter die Erde.
Die Bienen und das Wasser
Die Bienen beschlossen zu sterben, nicht weil der Honig nicht mehr süß und die Felder nicht mehr blühten, sondern aus Protest. Sie summten: „Wir haben uns um die Bestäuben der Pflanzen gesorgt, für unser Volk Waben gebaut, haben Eier gelegt und sind ausgeflogen und eingeflogen, selbst den Menschen und Bären haben wir unseren Honig gelassen, jetzt wollen wir nicht mehr. Wir kapitulieren vor der Welt, der Fortpflanzung und dem Fortschritt. Wer, wenn nicht wir, können dem Fortleben der Biosphäre, der Geosphäre und dem Kosmos Einhalt gebieten.“ Und wie sie sich immer einig waren, waren sie sich auch in diesem Punkte einig, und erhoben sich aus ihren Waben und Stöcken und flogen zum nächsten Wasser und das Wasser verstand, und nahm sie in sich auf.
Der Hufeisenwurm und die Zylinderrose
Ein Hufeisenwurm und eine Zylinderrose lebten in Assoziation auf dem Grund eines subtropischen Meeres. Sie waren glücklich.
Die Qualle
Eine zweigeschlechtliche Qualle, nachdem sie Ei und Samen ins Meer gegeben, drehte sich noch einmal um und fühlte sich eigenartig. „Aus Euch“, sprach sie zu dem Ei und zu dem Samen, „werden meine Panulalarven. Ihr werdet im kalten Wasser treiben, so lange dahintreiben bis ihr einen festen Grund gefunden habt um Euch festzusaugen. Ihr werdet korallenartig zu leben gezwungen sein, bis ihr Euch löst.“ Der zweigeschlechtlichen Qualle wurde so traurig bei dem Gedanken, der sich bis in ihre äußerste Zellschicht ausbreitete, dass ihre Tentakeln zitterten. Sie dachte bei sich: „Wenn ihr ganz aus mir seid, wenn ihr ganz ich, dann kann ich Euch auch der feste Grund sein, auf dem ihr reift.“ Und sie spannte mit all ihrer Kraft die feinen Muskelfasern an und bog sich auf. Eine Panulalarve, die inzwischen aus Ei und Samen gereift war, trieb gegen die gespannte Mutterqualle und saugte sich fest. Eine Welle erfasste das Mutterqualle-Panulalarve-Gespann. Und trieb es durchs Meer. Nach einiger Zeit und in einem fernen Strom, bildete sich auf der Mutterhaut ein blasenartiges Gebilde, das sich löste, ganz Qualle wurde und fortschwamm. Die Mutterqualle polypbesetzt und erschöpft, sankt auf den Grund des Meeres und wurde zu dem festem Boden, für den sie sich gehalten hatte.
Tauben_Transit @Ebertplatz
Insektenfabeln mit der Orangen Gruppe @AvantGarden